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Prof. Dr. Nele McElvany | Technische Universität Dortmund
Individuelle, soziale und institutionelle Bedingungen der Lesekompetenz
Der Erwerb von Lesekompetenz ist ein wichtiges Ziel schulischer Bildung. Zugleich ist diese aber auch eine zentrale Grundvoraussetzung für Bildungsprozesse und Bildungsergebnisse – in der Schule, der Aus- und Weiterbildung, im Beruf oder in der Freizeit. Einleitend wird Lesekompetenz im Vortrag zunächst im Bereich der Bildungsziele verortet und ihre Relevanz und Definitionen skizziert. Darauf aufbauend werden individuelle, soziale und institutionelle Bedingungsfaktoren identifiziert, die für die Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz von Bedeutung sind. Dabei werden unter Rückgriff auf Studien mit experimentellem, längsschnittlichem und Large-Scale Design unter anderem die Rolle des Wortschatzes, der Motivation, des Geschlechts, des Migrationshintergrunds sowie der Unterrichtsqualität für die Lesekompetenz thematisiert. Im Ausblick werden Forschungsdesiderate und Implikationen im Kontext der Digitalisierung, Unterrichts- und Schulqualität sowie Zusammenhänge mit anderen Kompetenzen diskutiert, für deren Untersuchung die IGLU 2021- sowie die neue NEPS SC8-Erhebung genutzt werden können. Der Vortrag verdeutlicht am Beispiel der Lesekompetenz die Notwendigkeit sowie das Potential interdisziplinärer Zugänge in der Empirischen Bildungsforschung für die wissenschaftlich fundierte Gestaltung von Bildung.
Prof. Dr. Nele McElvany ist Professorin für Empirische Bildungsforschung mit dem Schwerpunkt Lehren und Lernen im schulischen Kontext an der TU Dortmund und leitet dort als Direktorin das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS). Als habilitierte Psychologin beschäftigt sie sich in ihren Forschungen mit schulischen Bildungsprozessen aus psychologischer und pädagogischer Perspektive. Dabei stehen verschiedene Dimensionen des Kompetenzerwerbs von Lernenden und Lehrenden im Fokus, immer unter der Berücksichtigung individueller, sozialer und institutioneller Einflussfaktoren.
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Prof. Dr. Ludger Wößmann | Ludwig-Maximilians-Universität München
Bildung und Chancengerechtigkeit in der offenen Gesellschaft
Eine wichtige Rolle von Bildung besteht darin, Menschen dazu zu befähigen, eigenverantwortlich an der offenen Gesellschaft zu partizipieren und von ihren Chancen zu profitieren. Nur ein Bildungssystem, das allen Kindern und Jugendlichen eine qualitativ hochwertige Bildung vermittelt, kann verhindern, dass die gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit die Grundlagen der westlichen Gesellschaftsordnungen erodieren. Eine Bildungspolitik, die gleiche Startchancen schafft, ist Voraussetzung dafür, dass das Zusammenspiel von eigenverantwortlicher Marktteilnahme und sozialer Teilhabe, das unsere Soziale Marktwirtschaft ausmacht, auch in Zukunft für Wohlstand und Stabilität sorgt. Deshalb ist Bildungsgerechtigkeit ein Kernelement der Sozialen Marktwirtschaft, und deshalb muss Bildungspolitik als Instrument zur Herstellung gleicher Startchancen zu einer zentralen Säule einer erneuerten Sozialen Marktwirtschaft werden.
Echte Gleichheit der Bildungschancen ist letztlich eine Chimäre. Aber die empirische Forschung liefert Belege dafür, welche Elemente eines Bildungssystems dazu beitragen können, dem Ideal der Chancengerechtigkeit näher zu kommen. Der Vortrag berichtet über Beispiele, welche schulischen und außerschulischen Bildungsmaßnahmen die Chancen von Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Verhältnissen effektiv verbessern können. Und er behandelt empirische Befunde, welche dieser Bildungsmaßnahmen politisch mehrheitsfähig und damit in unserer demokratischen Gesellschaft umsetzbar sein könnten.
Prof. Dr. Ludger Wößmann ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München und leitet das ifo-Zentrum für Bildungsökonomik. Als Ökonom befasst er sich mit der Bedeutung von Bildung für wirtschaftlichen Wohlstand sowie mit den Effekten des Schulsystems auf schulische Leistungen und Chancengerechtigkeit.
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Prof. Dr. Andreas Breiter | Universität Bremen
Researching Datafied Education: Empirische Bildungsforschung im Zeitalter der Datafizierung
Mit dem Begriff „Deep Mediatization“ (Hepp 2020) wird ein gesellschaftlicher Prozess der zunehmenden Prägung unserer kommunikativen Konstruktion von Wirklichkeit durch Medien beschrieben. Er zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass Daten und Algorithmen eine wesentliche Rolle spielen. Die Vermessung der Gesellschaft oder die "Quantifizierung des Sozialen" (Mau 2017) wirkt sich auch auf die Bildungsinstitutionen, die Bildungsverwaltung und Bildungspolitik sowie die Lern- und Lehrprozesse aus. Es werden Informationssysteme (z.B. Lernmanagementsysteme, Virtuelle Lernumgebungen, Verwaltungssoftware) auf allen Ebenen, von staatlichen Einrichtungen ebenso wie von privaten Unternehmen aufgebaut und zunehmend miteinander vernetzt, was die Verfügbarkeit von Daten deutlich steigern wird. Dies hat Konsequenzen für die empirische Bildungsforschung. Zu den etablierten quantitativen, psychometrischen Studien treten datengetriebene non-reaktive Verfahren wie Logfile-Analysen und prädiktive Analysen auf Basis von großen Datenmengen („Big data“), adaptive Lernsysteme oder auch Videoanalysen von Unterrichtssequenzen inklusive Mimik- und Gestenerkennung mit Hilfe KI-basierter Algorithmen. Nutzerinnen und Nutzer hinterlassen unbewusst Datenspuren, die dann in Vorhersagemodelle integriert werden. Diese Ansätze werden unter dem Begriff „Learning Analytics“ subsumiert. Neben einer Dominanz der quantitativen gegenüber den qualitativen Methoden, wobei letztere zwingend notwendig sind für die Einordnung digitaler Spuren in die Handlungskontexte, stellen sich neue forschungsethische Fragen in Bezug auf die Persönlichkeitsrechte, die Datenhaltung und Nachverwertung und damit den Datenschutz. Algorithmen des sogenannten „maschinellen Lernens“ können einerseits zu einer Individualisierung der Lernunterstützung beitragen und andererseits zuvor anonymisierte Datensätze de-anonymisieren. Die fehlende Transparenz der Berechnungsgrundlagen kann Bias (bspw. Benachteiligung in Bezug auf Geschlecht oder Minderheiten) in den Analysen verdecken. Als Konsequenz ist neben der Aneignung datengetriebener Modelle („Data Science“) eine kritische Datenkompetenz im Sinne der Critical Data Studies in die Bildungsforschung zu integrieren und die Grenzen der Berechenbarkeit sind gegenüber Bildungsverwaltung, Bildungspolitik und Bildungspraxis zu artikulieren.
Prof. Dr. Andreas Breiter ist Professor für Informations- und Wissensmanagement in der Bildung an der Universität Bremen und leitet dort als wissenschaftlicher Direktor das Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib). Im Fokus seiner Forschungen liegen IT-Entwicklungs- und Governanceprozesse für Bildungsorganisationen und deren Trägereinrichtungen.